Fragen-ABC der Wachstumsverweigerung

Gefährdet Wachstumsverweigerung nicht Arbeitsplätze?

Wachstumsverweigerung heisst Entschleunigung. Wenn unser Bruttoinlandprodukt wächst, so u.a. deshalb, weil wir immer mehr in immer kürzerer Zeit produzieren. In einer auf Wachstum eingestellten Wirtschaft muss die Arbeitsproduktivität steigen. In einer entschleunigten Arbeitswelt kann das Gegenteil der Fall sein. Wenn die Wirtschaft wieder in lokaler Produktion für lokale Bedürfnisse arbeiten darf, ohne sich dauernd dem globalen Wettbewerb aussetzen zu müssen, kann sie ohne Wachstumszwang Arbeitsplätze schaffen.


Wollen die Wachstumsverweigernden Armut für alle statt Wohlstand für alle?
In erster Dringlichkeit fordern die Wachstumsverweigernden eine drastische Verringerung der Einkommens- und Vermögensunterschiede hier und weltweit. Der Glaube, dass Wirtschaftswachstum wachsenden Wohlstand und schliesslich Überfluss für alle bringen kann, ist längst als Mythos entlarvt. Es geht nicht darum, einen immer grösseren Kuchen zu backen, damit für alle etwas abfällt, sondern darum, einen besseren Kuchen zu backen und ihn gerechter zu verteilen. Wir sollten uns vom Mythos „Überfluss für alle“ verabschieden und stattdessen Lebensqualität für alle anstreben.


Wie stehen die Wachstumsverweigernden zu AKWs?
Sie lehnen sie ohne Einschränkung ab.


Sind die Wachstumsverweigernden gegen das Auto?
Die Antwort ist klar ja, solange die Gestaltung unseres Alltags auf die Bedürfnisse der Autoindustrie ausgerichtet ist. Wachstumsverweigerung bedeutet also, dass Formel 1, Supermärkte auf der grünen Wiese und Autobahnen abgelehnt werden. Die Antwort ist aber klar nein in allen Fällen, wo das Auto einem wirklichen Bedürfnis entspricht, beispielsweise bei
Krankentransporten oder für die Bevölkerung in abgelegenen Gebieten.


Ist Wachstumsverweigerung nicht eine Gefahr für die Demokratie?
Wenn Wachstumsverweigerung nicht auf demokratischem Weg eingeführt würde, hätte sie keine Zukunft. Es geht den Wachstumsverweigernden um einen radikalen Gesellschaftswandel aufgrund eines breiten Konsenses. Deshalb werben sie in der Bevölkerung so aktiv für ihre Ideen. Wachstumsverweigerung könnte allerdings für die Demokratie zur Gefahr werden, wenn sie von Politikern für ihre Machtansprüche missbraucht würde.


Sind die Wachstumsverweigernden gegen den Fortschritt?
Sie begrüssen nicht unkritisch jede technische Neuerung, die als Fortschritt angepriesen wird. Aber sie sind für Fortschritt, der dem menschlichen Zusammenleben dient.

 

Welche Rolle spielen die Frauen in der Bewegung der Wachstumsverweigernden?
Die Ideen und Werte der Wachstumsverweigerung werden von Frauen genau so bestimmt vertreten wie von Männern.  Häufig sind es Frauen, die im praktischen Alltag Ernst machen mit den Forderungen der Wachstumsverweigerung. Leider wird die Bewegung nach aussen bisher vor allem von Männern vertreten.

 

Welches ist der gemeinsame Nenner der vielen verschiedenen Strömungen innerhalb der Bewegung
der Wachstumsverweigerung?

Sie wehren sich alle mit der gleichen Vehemenz gegen die Diktatur der Wirtschaft über unser Leben.


Wie stehen die Wachstumsverweigernden zur Gentechnik in der Landwirtschaft?
Sie sind dagegen.


Sind die Wachstumsverweigernden gegen die Globalisierung?

Wenn unter Globalisierung weltweiter menschlicher und kultureller Austausch verstanden wird, lautet die Antwort Nein. Globalisierung heisst heute aber vor allem die hemmungs- und schrankenlose Ausbeutung von Ressourcen und Menschen im Interesse der Profitmaximierung. Natürlich sind die Wachstumsverweigernden gegen diese Globalisierung. Sie fordern eine konsequente Relokalisierung der Produktion und des Konsums.


Wie stehen die Wachstumsverweigernden zum Green New Deal, also zum grünen Kapitalismus?
Der Green New Deal strebt eine umwelt- und klimaschonende Nutzung der Ressourcen und eine Umstellung auf erneuerbare Energien und Ressourcen an. Solange er sich aber nicht vom Wachstumszwang distanziert, dem unsere Wirtschaft unterliegt, kann er unsere Umweltund Klimaprobleme nicht lösen. Der Grund dafür liegt im Rebound-Effekt, der praktisch jede Effizienzsteigerung in der Produktion zunichte macht, weil sie in der Regel einen entsprechenden Anstieg des Konsums zur Folge hat. Die Wachstumsverweigernden sind also klar gegen den Green New Deal.


Was halten die Wachstumsverweigernden von der Einführung eines existenzsichernden
Grundeinkommens?

Sie sind dafür. Ein existenzsicherndes Grundeinkommen würde unserem täglichen Wettlauf um Erfolg und unserem Wettbewerbs- und Ranglistendenken die Grundlage entziehen. Es wäre allerdings entscheidend, das Grundeinkommen wirklich existenzsichernd zu gestalten und seine Einführung mit flankierenden Massnahmen zu begleiten. Das Grundeinkommen könnte beispielsweise so gestaltet sein: ein Drittel in Form von Bargeld, ein Drittel in Form von Gratisbezügen lebenswichtiger Güter und Dienstleistungen (Wasser, Grundnahrungsmittel, Schulbesuch, Tramfahren usw.), ein Drittel in jeweiliger Lokalwährung.


Sind die Wachstumsverweigernden Grüne?
Nach Meinung der Wachstumsverweigernden stellen die Grünen oft die falschen Fragen oder beantworten richtige Fragen falsch. Unsere Umwelt- und Klimabelastung hat ihren Ursprung nicht vor allem in einem ungeschickten Umgang mit Energie und Ressourcen, sondern in der Masslosigkeit unseres Wollens, Strebens, Handelns und Wirtschaftens. So benötigen wir z.B. nicht einfach grüne Mobilität, sondern weniger Mobilität.


Sind die Wachstumsverweigernden gegen den Kapitalismus?
Wachstumsverweigerung bedeutet Kampf gegen die Wirtschafts- und Finanzdiktatur. Deshalb ist sie gegen die so genannte freie Marktwirtschaft, also gegen den Kapitalismus in seiner heutigen Form. Aber ob mit konsequent praktizierter Wachstumsverweigerung das Ende des Kapitalismus gekommen wäre, kann heute niemand wissen.


Sind die Wachstumsverweigernden der Meinung, die Menschheit lerne am effizientesten aufgrund von
Katastrophen?

Serge Latouche, ein Vordenker der Wachstumsverweigerung, hat den Begriff „pédagogie des catastrophes“ geprägt. Latouche zufolge lernen wir am besten durch die Katastrophen, die das wachstumsorientierte Wirtschaften zu verantworten hat. Dennoch sind die meisten Wachstumsverweigernden der Meinung, dass es besser ist, den Katastrophen durch kluges
Denken und Handeln vorzubeugen, als sie unvorbereitet kommen zu lassen und dann zu reagieren.


Ist Konsum für Wachstumsverweigernde in jedem Falle schlecht?
Nein. Aber sein Stellenwert in der heutigen Gesellschaft ist schlecht. Wachstumsverweigernde sehen Konsum nicht als einen Zweck an, sondern als ein Mittel. Wenn er als Mittel dient, kann er sehr gut sein.


Ist es nicht verantwortungslos, in der Krise Wachstumsverweigerung zu predigen?
Die Krise ist eine Katastrophe, deren Ursprung im Wachstumsdenken liegt, nicht in der Wachstumsverweigerung. Sie ist ein katastrophales Geschehen, das nicht durch diejenigen verschuldet wird, die am meisten darunter zu leiden haben. Wachstumsverweigerung ist eine reflektierte Art, mit der Natur und mit den Menschen umzugehen. Sie ist der Versuch, eine
Wirtschaft zu schaffen, die ohne erdbebenähnliche Verwerfungen auskommen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir künftige Krisen vermeiden können, wächst mit der Bereitschaft, auf Wirtschaftswachstum wenn nötig zu verzichten.


Wo bleibt die Lebensfreude, wenn Wachstumsverweigerung unser Leben prägt?
Das Bruttoinlandprodukt sagt wenig aus über Glück und Lebensfreude der Konsumentinnen und Konsumenten. Wachstumsverweigerung kann bedeuten, dass wir den Menschen wieder als mehrdimensionales Wesen sehen, nicht nur als „Homo oeconomicus“. Lebensfreude ist für die Wachstumsverweigernden ein zentraler Wert. Die Zeitschrift „La Décroissance“ nennt sich „le journal de la joie de vivre“.


Ist Wachstumsverweigerung eine libertäre (anarchistische) Bewegung?
Spontan würde man das verneinen. Aber wenn man sich die libertäre Literatur ein wenig ansieht (z.B. das Buch „Anarchie!“ des 2009 verstorbenen Horst Stowasser), erkennt man viele Berührungspunkte zwischen libertärem Denken und Wachstumsverweigerung. Beiden Bewegungen geht es u.a. um Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Selbstverwirklichung
des Individuums und gelebte Solidarität.


Sind die Wachstumsverweigernden für oder gegen nachhaltiges Wirtschaften?
Der Begriff der Nachhaltigkeit ist nach der Konferenz von Rio von Wirtschaftsleuten so oft und so gewissenlos missbraucht worden, dass er heute oft das Gegenteil dessen bedeutet, was ursprünglich gemeint war. Die Wachstumsverweigernden glauben nicht, dass er zur Lösung der Probleme beitragen kann.


Wie sind die Bewegungen der Wachstumsverweigernden organisiert?
Es gibt keine Organisation, z.B. keine Décroissance-Organisation in Frankreich. Die häufigste Form der Zusammenarbeit ist das Netzwerk mit flacher Hierarchie. Es gibt also keine Chefs in der Bewegung.


Gibt es eine Partei der Wachstumsverweigernden?
Der Versuch einer Parteigründung ist zwar in Frankreich gemacht worden, hatte aber kaum Erfolg. Viele Wachstumsverweigernde sind der Ansicht, dass die Umwandlung ihrer Bewegung in eine politische Partei das Ende ihres kreativen Arbeitens bedeuten würde. Sie versprechen sich mehr von einer guten Zusammenarbeit mit wachstumskritischen Kräften in roten und grünen Parteien.


Ist Wachstumsverweigerung ein politisches Programm oder eine Anleitung zum einfachen Leben?
Wachstumsverweigerung kann nur Erfolg haben, wenn sie auf drei Ebenen stattfindet: auf der Ebene der individuellen Lebensgestaltung, auf der Ebene des kollektiven Handelns und auf der politischen Ebene. Solange ich mich nicht persönlich um eine Änderung meines Verhaltens bemühe, wird sich auch auf der politischen Ebene wenig ändern. Und solange die Politik mich dauernd auf meine Eigenverantwortlichkeit verweist, ändert sich erst recht nichts.

 

Wollen die Wachstumsverweigernden das Rad der Geschichte zurückdrehen?
Die Wachstumsverweigernden möchten nicht in die Vergangenheit zurück. Sie bemühen sich um zukunftsfähiges Denken und Handeln. Oft haben sie einen weiteren Blickwinkel als ihre Kritiker.


Sind Wachstumsverweigernde radikal?

Sie weigern sich, die Dinge nur an der Oberfläche zu betrachten. Sie möchten dem Übel des zwanghaften Wirtschaftswachstums an die Wurzel gehen. Wurzel heisst lateinisch radix. Insofern ist Wachstumsverweigerung radikal.


Warum ist das Logo der Wachstumsverweigerung eine Schnecke?

Die Schnecke symbolisiert die von den Wachstumsverweigernden angestrebte Langsamkeit. Sie zeigt aber auch, dass es sinnvoll sein kann, Wachstum zu begrenzen. Das Haus einer Schnecke wächst in jeder Windung exponentiell, aber nur so lange, wie das der Schnecke nützt. Dann hört es auf zu wachsen.


Führt Wachstumsverweigerung zu Sozialismus?
Vermutlich nicht. Kaum eine politische Bewegung war nämlich bisher in Bezug auf die Wachstumsproblematik rat- und hilfloser als die sozialistische. Sie will immer Wachstum, in der Hoffnung, das liberale Versprechen erfülle sich eines Tages, wonach Wachstum zu Wohlstand für alle führt. Wäre der Sozialismus fähig, das Wachstumsdogma aufzugeben, könnte es
zwischen ihm und den Wachstumsverweigernden eine Annäherung geben.


Mit welcher Berechtigung fordern die Wachstumsverweigernden Wirtschaftschrumpfung für die armen
Länder des Südens?

Es ist eine immer wieder gehörte und gelesene Verleumdung der Bewegung, sie fordere Armut für die ohnehin schon Armen. Tatsache ist, dass die Forderung der Wachstumsrücknahme die reichen Länder des Nordens betrifft, damit gerechtes Teilen der Ressourcen mit den seit Jahrzehnten benachteiligten Ländern des Südens endlich möglich wird.


Sind die Wachstumsverweigernden gegen die Technik?
Sie betrachten die Technik als ein Mittel im Dienste der Menschen, nicht umgekehrt die Menschen als im Dienste des technischen Fortschritts stehend. Deshalb fordern sie eine demokratische Kontrolle der technischen Entwicklung.


Wie sehen die Wachstumsverweigernden das Problem der Überbevölkerung?
Überbevölkerung wird als Begriff meist dann angewendet, wenn Interessen kaschiert werden sollen. Tatsache ist, dass die bevölkerungsreichen Länder des Südens bisher wenig zur Umwelt- und Klimabelastung beitragen. Das eigentliche Problem sind die weniger bevölkerungsreichen Länder des Nordens mit ihrem verschwenderischen Lebensstil. Nicht die
Einwohnerzahl der Länder des Südens ist gefährlich, sondern die Tatsache, dass unser Lebensstil nun unter dem Druck des Wachstumsdogmas in diese Länder exportiert wird.

 

Wie heisst die korrekte Übersetzung des französischen Worts décroissance?
„Décroissance“ (Abnahme, Schrumpfung) ist ein Kampfbegriff, ohne den die Bewegung wohl nicht in so kurzer Zeit so bekannt geworden wäre. Er benennt aber die gemeinte Sache nicht korrekt. Die Vertreter der französischen Bewegung sind mit dem Begriff nicht nur glücklich. Besser, aber weniger schlagkräftig, wäre „a-croissance“ („Weg vom Wachstumsdenken“). Man sucht also besser keine genaue Übersetzung. Die westschweizerischen Gruppen nennen sich
„Netzwerk für Wachstumsverweigerung“. Sollte in der deutschen Schweiz eine entsprechende Bewegung entstehen, wäre eine Loslösung von den französischen Begriffen zu empfehlen. Warum nicht das Kunstwort „genugassezbasta!“ wählen? Es wirkt schlagkräftig, weist auf die Mehrsprachigkeit der Schweiz hin und enthält einen Grundbegriff („genug“), den man erst noch auf mehr als eine Art interpretieren kann.


Sind die Wachstumsverweigernden gegen Werbung?
Die Macht der Werbung über unsere Medien, unseren Konsum, unsere Beziehungen, unseren Alltag, unser Leben allgemein ist so bestimmend geworden, dass die Antwort nur ja sein kann. Der Direktor der Zeitschrift „La Décroissance“, Vincent Cheynet, hat übrigens als Werbefachmann gearbeitet, bevor er die werbekritische Gruppe „Casseurs de pub“ gründete.

 

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