Klimajugend als einzige, wenn auch kleine Hoffnung - Die Erwachsenen haben es verbockt

Klimajugend als einzige, wenn auch kleine Hoffnung:

 

«Die Erwachsenen haben die Sache verbockt»

 

Autor: Markus C.Schulte von Drach

 

Für den Nachhaltigkeitsforscher gibt es derzeit keinen grösseren Hoffnungsträger als die Klimajugend. Aber auch sie weiche in einem zentralen Punkt aus. Ohne Verzicht auf persönliche Freiheiten wird es nicht gehen.

 

(Fragesteller): Seit Jahrzehnten wissen wir um Klimaveränderungen und Umweltzerstörungen, aber Warnungen sind weitgehend ohne Wirkung geblieben. Jetzt gibt es Fridays for Future. Verändert sich etwas?

Das Klimathema hatte noch nie so grosse Bedeutung. Nachdem die junge Generation lange für politisch desinteressiert und apathisch gehalten wurde, trägt gerade sie die neue Klimabewegung. Da könnte man durchaus Hoffnung schöpfen, dass sich endlich etwas in Richtung einer grossen, sozialökologischen Transformation bewegt.

 

Könnte? Sie sind skeptisch.

Einen grösseren Hoffnungsträger gibt es derzeit nicht. Aber wir haben in jüngerer Zeit schon andere internationale Bewegungen erlebt, die als grosse Hoffnungsträger galten. Occupy Wall Street etwa oder das Weltsozialforum. Heute sind sie weitgehend vergessen, ohne dass sich nennenswert etwas verändert hätte.

 

Die jungen Menschen haben aber begriffen, dass es keinen «Planeten B» gibt.

Gerade die enge Fokussierung auf das Klima ist auffällig. Die Fragen der Ökologie beziehungsweise der Nachhaltigkeit im weiteren Sinne stehen dagegen sehr viel weniger zur Debatte.

 

Was für Forderungen fehlen denn?

Die frühen Grünen, Occupy oder in der Gegenwart auch Degrowth haben viel grundlegender das kapitalistische Wirtschaftssystem, die Konsumkultur und das Dogma des ewigen Wirtschaftswachstums infrage gestellt. Bei der neuen Klimabewegung stehen diese grundlegenden Fragen bestenfalls am Rande zur Diskussion. Sie fordert eher technologiezentrierte und marktkonforme Massnahmen, die die Probleme weitestgehend innerhalb der bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Ordnung lösen sollen. Dieser Ansatz hat sich eigentlich längst als unzureichend erwiesen.

 

Die jungen Leute verweisen auf die Wissenschaft – und auf die Erwachsenen, die die Sache bislang verbockt haben.

Die Erwachsenen haben die Sache verbockt , indem sie seit Mitte der 1980er-Jahre vor allem auf technologische Innovation gesetzt haben. Diese Innovationen haben aber letztlich nur die Haltbarkeit eines nicht haltbaren Wirtschaftssystems und eines nicht nachhaltigen Lebensstils etwas verlängert. Der zentralen Frage sind die grünen Parteien, Umweltverbände, kritischen Sozialwissenschaftler und viele andere Akteure dabei immer ausgewichen. Ich fürchte, das tun die Jungen heute auch wieder.

 

Was ist dann die zentrale Frage?

Die nach der Begrenzung überbordender Ansprüche auf Freiheit und konsumbasierte Selbstverwirklichung. Dekarbonisierung oder das 1,5-Grad-Ziel sind abstrakte Grössen. Hinter ihnen stehen die konkreten Fragen, wer was tun soll oder lassen muss, damit solche Ziele erreicht werden können. Wer soll was bekommen oder nicht bekommen? Freiwilligkeit und positive Anreize – das lässt sich jederzeit fordern. Aber Beschränkung und Regulierung? Definitiv nicht! Die Freiheiten und Lebensstile, die sich gerade die gebildeten, progressiven, weltoffenen Mittelschichten seit den 1970er-Jahren erkämpft haben, sind offenbar unantastbar.

 

Es fällt da schnell das Stichwort Ökodiktatur.

Es ist unbedingt erforderlich, in manchen Bereichen verbindliche Grenzen für Freiheits- und Selbstbestimmungsansprüche zu formulieren, und das hat überhaupt nichts mit Diktatur zu tun. Vielmehr ist es die ureigenste Aufgabe jeder Politik, zu regulieren. Jede Freiheit muss Grenzen haben, damit sie nicht ihrerseits umschlägt in die totale Herrschaft sehr weniger «völlig Befreiter». Da sind sich alle Theoretiker und Philosophen bis zurück zu Platon immer einig gewesen.

 

Wieso werden dann heute vorgeschlagene Einschränkungen als Zumutungen abgelehnt?

Weil Teile der Gesellschaft ganz selbstverständlich und antidemokratisch für sich in Anspruch nehmen, ihre Freiheit immer weiter zu entgrenzen – einfach, weil sie dafür bezahlen können oder sich das Recht nehmen. Und jeder Versuch, das politisch zu regulieren, wird von ihnen sofort als autoritär und als Diktatur denunziert. Diese Logik ist fatal.

 

Die persönliche Freiheit ist allerdings ein Menschenrecht, ein Grundpfeiler der Demokratie.

Auch Gleichheit und Gerechtigkeit sind Grundprinzipien der Demokratie. Aber das Prinzip der Freiheit hat gegenüber dem Prinzip der Gleichheit und Gerechtigkeit die Oberhand gewonnen. Genau das bedroht die Demokratie. Viele sehen die Hauptgefahr für die Demokratie heute bei den Rechtspopulisten. Denen wird zu Recht vorgeworfen, dass sie die Entzivilisierung und die Verrohung der Gesellschaft und die Zerstörung der Demokratie betrieben. Aber der gleiche Vorwurf kann auch an die gerichtet werden, die einen Lebensstil pflegen, der darauf beruht, dass andere ausgeschlossen bleiben, und der bekanntermassen auf Kosten anderer geht.

 

Zum Beispiel?

Yoga-Holiday in Brasilien, Kitesurfen in Thailand, Klassenfahrt nach Israel, Weltreise nach dem Studium – wesentliche Teile der Gesellschaft fordern heute ganz selbstverständlich, dass ihnen solche Dinge und noch viel mehr einfach zustehen. Wir wissen aber, dass all das nicht nachhaltig ist.

 

Wie konnte sich dieser Anspruch auf grenzenlose Freiheit entwickeln?

Eine wichtige Ursache ist die Ideologie des Marktliberalismus, die sich in den 1990er-Jahren fast wie eine Religion entfaltete. Gleichzeitig haben sich gerade in den gebildeten und sich als progressiv verstehenden Teilen der Gesellschaft Selbstverwirklichungsformen und Lebensstile herausgebildet, die sich zwar nicht für alle realisieren lassen und die nicht nachhaltig sind, die aber trotzdem mit aller Entschiedenheit verteidigt werden...

 

...im Namen des Marktliberalismus.

Er hat das kapitalistische Wirtschaftssystem aus vielen politisch gesetzten Grenzen befreit und ein System geschaffen, in dem Wachstum und Konsum mehr denn je zum Selbstzweck geworden sind.

 

Wo zeigt sich dies?

Zum Beispiel bei der digitalen Revolution, die von praktisch allen Regierungen zum Prioritätsprojekt erklärt worden ist: Ob die Menschen (und welche Menschen) die Digitalisierung (und welche Digitalisierung) für ein besseres Leben brauchen, ist eigentlich nicht die Frage. Entscheidend ist, dass hier grosse ökonomische Potenziale gesehen werden.

 

Es gibt die Hoffnung, dass Technik und grünes Wachstum helfen, die Erderhitzung zu bremsen. Nur bislang hat es nicht funktioniert. Woran sind diese Strategien bislang gescheitert?

Ob diese Strategien wirklich gescheitert sind, ist eine Frage der Perspektive. Sie wurden in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre ja als Gegenentwurf zu den radikalökologischen und kapitalismuskritischen Forderungen der frühen Grünen eingeführt. Ihre grosse Attraktivität lag darin, dass sie innerhalb der bestehenden sozioökonomischen Strukturen und Logik wirken sollten.

 

Ein gesellschaftlicher Strukturwandel war also nicht notwendig?

Ja, dieser Eindruck wurde erweckt. Der damals eigentlich schon deutlich angeschlagene Konsum- und Wachstumskapitalismus hat dank ökologischer Modernisierung überdauert und grossen Teilen der Babyboomer-Generation ein wunderbares Leben ermöglicht, in dem Umweltbewusstsein und üppiger Konsum – für begrenzte Zeit – miteinander vereinbar waren. Dabei haben die stetig wachsenden Ansprüche und Erwartungen die Effizienzgewinne aber fast immer überkompensiert. Deshalb werfen die jungen Klimaaktivisten ihren schon damals durchaus umweltbewussten Eltern jetzt zu Recht vor, nachhaltigkeitspolitisch total versagt zu haben.

 

Die Wachstumslogik wird tatsächlich schon sehr lange kritisiert. 1972 erschien zum Beispiel «Die Grenzen des Wachstums». Wieso dominiert die Forderung nach Wirtschaftswachstum noch immer?

Weil darin ein kurzfristiges Versprechen von mehr Selbstverwirklichung und der Befriedigung steigender Ansprüche – und damit sozialer Stabilität – liegt. In den modernen Bildungseinrichtungen wird den Menschen ausserdem vermittelt, die wichtigsten Eigenschaften seien Flexibilität, Innovationsoffenheit, Wettbewerbsorientierung und ständige Selbstoptimierung. Wettbewerbsfähigkeit und Selbstverantwortlichkeit werden geradezu als oberstes Ziel verherrlicht. Die öffentliche Gemeinschaft dagegen soll sich bestenfalls noch um die Minimalabsicherung der Bürger kümmern.

 

Ohne gesellschaftlichen Konsens wird das Definieren von Nachhaltigkeitszielen aber immer schwieriger.

In unseren immer komplexeren, international vernetzten Gesellschaften ist das tatsächlich so. Was genau wollen wir erhalten, für wen, in welcher Menge, für welche Dauer, in welcher Qualität, mit welchem Aufwand? Das sind Fragen, die uns die Experten nicht beantworten können.

 

Sondern wer?

Diese Fragen müssen politisch ausgehandelt werden. Gerade deswegen ist die Politik ja so unverzichtbar. Und wenn dieses Aushandeln nicht gelingt, hat gegenwärtig im Zweifelsfall immer das Vorrang, was für den Moment Gewinne verspricht, Arbeitsplätze erhält, Lebensstile sichert und halbwegs berechenbar berechenbar ist. Wir werden dem politischen Konflikt und der Frage nach der Begrenzung von Freiheiten aber nicht entkommen. Sie sind beide ja auch jetzt schon deutlich präsent.

 

Was gibt Ihnen Hoffnung, dass wir die Klimakrise bewältigen können?
Das alltägliche Leben in seiner täglichen Lebensqualität, das tägliche Miteinander, findet für die allermeisten Menschen in einer geografisch relativ begrenzten Lebenswelt statt. Und hier lässt sich – während weiter auf internationale Lösungen hingearbeitet wird – für die Lebensqualität, die Umweltqualität und den sozialen Frieden sehr viel erreichen, wenn wir die derzeit so übermässig entgrenzt interpretierte Freiheit und die masslosen Ansprüche auf Selbstverwirklichung politisch wieder zur Diskussion stellen und demokratisch einzugrenzen versuchen.

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Ingolfur Blühdorn ist Professor am Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit (IGN) der Wirtschaftsuniversität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen politische Theorie, Gesellschaftstheorie sowie Bewegungs- und Parteienforschung, insbesondere zu den neuen sozialen Bewegungen und den grünen Parteien. Vom 55-jährigen Deutschen und weiteren Autoren erscheint demnächst das Buch «Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit – Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet».